Musäsus | Allgemeine deutsche Bibliothek | Band 11

 

Allgemeine deutsche Bibliothek
[11. Band, 1. Stück (1770)], Seite 51-59

 

Shakespears theatralische Werke, aus dem Eng-
lischen, übersetzt von Hrn. Wieland. Zürich
bey Orell, Geßner und Compagnie, sechster
Band 1765. 27 Bogen. Siebenter Band
1766. 31 Bog. Achter Band 1766. 25 B.
in gros 8,

Mir dem achten Bande ist diese Uebersetzung
vollendet. In der Bibl. 1 Bandes, 1 St.
S. 300. hatte ein Recensent unter andern
geurtheilet: »von Rechtswegen sollte man einen Mann,
wie Shakespeare, gar nicht übersetzen.« Desgleichen,
Hr. Wieland scheine seinen Autor noch nicht genug
studiret zu haben.« Hierüber scheint Hr. W. in der
Vorrede zum achten Bande ein wenig ungehalten zu
seyn. Der Recensent hatte sich freylich zu kurz und
vielleicht zu dreist ausgedrückt, er glaubte, vernünftige
Leser würden die Einschränkungen, die sich von selbst
verstehen, auch von selbst hinzuthun. Wir wollen uns
hier etwas genauer erklären. Da Shakespeare ein-
mal hat übersetzt werden sollen, so haben wir uns frey-
lich Glück zu wünschen, daß ein Mann von des Hrn.
Wielands Verdiensten, sich damit hat beschäftigen
wollen, und daß nicht etwa ein armseliger Buchhänd-
lersclave, in einer unglücklichen Stunde auf den Ein-
fall gekommen ist, sich derselben zu unterziehen. Der
Rec. hat wohl geglaubt dieses voraus setzen zu kön-
nen, ohne es ausdrücklich zu sagen.
   Er glaubt nicht, daß eine Uebersetzung des Sha-
kespeare ganz unnütz wäre, aber ist noch der Meynung,
daß eine solche Uebersetzung schwerlich einen so gros-
sen Nutzen haben werde, als man bey dem ersten An-
|blicke davon erwarten sollte, oder die der unendlichen
Mühe entspräche, die eine solche Übersetzung durch-
aus verursachen muß. Diese Einschränkung hat er
im Sinne gehabt, als er sagte: »man solle einen
Mann, wie Shakespeare, lieber gar nicht übersetzen.«
Seine eigne Empfindung und Erfahrung hatte ihn
gelehrt, wie gut man der engländischen Sprache kun-
dig seyn, wie sehr man den englandischen Humor
müsse kennen lernen, und wie man mit dem allen den
Skakespear nicht sowol lesen, als eigentlich siudiren
müste, um den wahren Geist dieses großen Mannes
einzusehen. Von diesen Gedanken voll, schien es ihm
unmöglich, daß ein Leser von der genauen Kenntnis
der engländischen Sprache und des engländischen Hu-
mors entblößet, aus einer Übersetzung, die durchaus
nicht ganz vollkommen seyn konnte, sich einen ganz
richtigen Brgriff von Shakespeare sollte machen kön-
nen. Er dachte also weniger daran, das Verdienst
der Übersetzung zu bestimmen, als die Leser der Uber-
setzung zu warnen, daß sie nicht etwa glaubten, Sha-
kespears Geist aus der Übersetzung ganz kennen zu
lernen, und ein zu schnelles Urtheil davon zu fällen, denn
warlich, auch ohne Schuld des Übersetzers, könte dies
falsch ausfallen, blos, weil dem Leser die Vorbereitung
mangelt, däß er die Schreibart, die Sitten, die Laune der
Engländer überhaupt noch nicht kennete, und dies ist
ohne Kenntnis der engländischen Sprache kaum mög-
lich.
   Wie viel muß ein Shakespeare nicht in jeder
Übersetzung verliehren! Nicht blos, weil er ein
Schriftsteller ist, der so viel eigenthümliches und so viel
Nationallaune in seiner Sprache hat, sondern auch
weil er voller kühner und außerordentlicher Meta-
pxhern, Anspielungen und Gleichnisse ist, die in einer
fremden Sprache immer weniger schicklich sind, weil
| er voller Wortspiele u. dgl. ist, die, so seltsam sie sind,
doch öffters in den Sinn so eingewebet sind, daß sie
nicht wohl können weggelassen werden, und die in ei-
ner andern Sprache immer anstößiger seyn müssen.
   Diese Schwierigkeiten hat Hr. W. an vielen Or-
ten glücklich besieget, und wir finden viele Stellen ganz
in Shakespears Geiste ausgedruckt; aber bey vielen
andern können wir dies nicht sagen. Wir haben sehr
oft gemerkt, daß Hr. W. Schwierigkeiten liegen läßt,
die noch zu heben gewesen waren, daß er Nuanzen ver-
wischt, die er vielleicht ausdrücken können, und das
sonderbare Colorit des Shakespearschen Styls, zuwei-
len ohne Noth und Wahl, noch sonderbarer macht.
Hierzu kann vieles beygetragen haben, daß Hr. W.
den reinen hochdeutschen Dialekt nicht vollkommen in
seiner Gewalt zu haben scheinet, die hochdeutsche
Sprache ist, wie sie Hr. Klopstock sehr richtig bezeich-
net, die Sprache der guten Schriftsteller und der gu-
ten Gesellschaften. Ihr Charakter ist, daß sie, überhaupt
genommen, von allen Provinzial-Wörtern, Provinzi-
al-Redensarten und Provinzial-Wendungen frei ist,
und in einzelnen Fällen von diesen nur so viel ge-
braucht, als nöthig ist, um die verschiedenen Nuan-
zen der Charaktere und Denkungsarten auszudrücken.
Wer diese Provinzial-Wörter, oder Redensarten, oder
Wendungen, weil er sie nicht zu unterscheiden weis,
ohne Wahl gebraucht, der verderbt sich die Gelegen-
heit, sie da anzubringen, wo sie Wirkung thun können.
In seinen spätern Gedichten verräth Hr. W. zwar weit
weniger Provinzialismus; allein die Sprachreinigkeit
scheinet ihm Mühe zu machen, und diese Mühe hat er
sich vielleicht bey prosaischen Schriften und Ueberse-
tzungen nicht geben wollen.
   Doch der Recensem hat auch gesagt: »Hr. W.
scheine seinen Autor nicht genug studirer zu haben.«
| Man sondere von diesen Ausdruck, alles ab, was er
für Hrn. W. beleidigendes haben kann, denn der Rec.
ist sich bewußt, daß er Hrn. W. nicht hat beleidigen
w«ollen. Hat er durch einen unbedachtsamen Ausdruck,
zu einer widrigen Auslegung Gelegenheit gegeben, so
thut es ihm sehr leid. Daß Hr. W. seinen Autor gar
nicht studiret habe, — eine so abgeschmackte Mey-
nung wird man dem Recensenten hoffentlich nicht zu-
trauen. Aber man kann einen Autor genug studirt
haben, um ihn zu verstehen, um ein Gefallen an ihm
zu finden, um seinen Geist im Ganzen zu erkennen,
aber gerade einen Shakespeare genug zu studiren, um
lhn zu übersetzen, ist noch eine ganz andere Sache.
Es gehört dazu die zarte Empfindlichkeit und zugleich
die Gabe, sich ganz in die Denkungsart eines andern
zu versetzen, die Meinhard in so hohem Grade besas.
Man kann ein großes Genie seyn, und diese nicht ha-
ben, ja einem Manne von so eigenthümlicher Laune,
a«ls Hr. Wieland, ist dies unter allem übrigen viel-
leicht das Schwerste.
    Wir glauben, dies in der Uebersetzung der Sha-
kespearischen Trauerspiele am meisten bemerket zu
haben. Shakespeare braucht, in den am tiefsten ein-
dringenden Situationen, oft ganz plane, platte, lau-
nigte, ja selbst ans komische gränzende Ausdrücke.
Wer Shakespearen mehr als einmal gelesen hat,
wird wissen, wie sehr oft diese niedrig scheinende Aus-
drücke, den tiefen Eindruck, vermehren. Hr. Wie-
land, dessen Genie ihn mehr zum komischen zu leiten
scheint, wird das ans komische gränzende, sehr oft,
noch ein wenig komischer ausdrücken. Wie sehr öffters
die Wirkung des Ausdrucks dadurch leide, läßt sich
nicht beschreiben, sondern blos empfinden. Ja sehr
öfters wird die Übersetzung komisch, wo es der Grund-
text gar nicht ist. Wir wollen nur folgende Stellen
| aus dem Mohren von Venedig (in dem siebenden
Bande der Uebersetzung) anführen, welches Trauer-
spiel wir besonders mit der Urkunde verglichen haben.
   In der ersten Scene sagc Jago: Verachte mich,
wenn ich ihn nicht hasse (despise me,) unser Ueber-
seher: Speyt mir ins Gesicht, wenn etc. und bald
darauf, er ließ meinen Gönnern ihre Hoffnung fehl-
schlagen (non suits my meditators,) der Uebersetzer:
er ließ sie mit einer langen Nase abziehen. In eben
dem Auftritte setzt Herr W. statt: dawider ist nun
kein Mittel (there's no remedy,) dafür ist nun
kein Kraut gewachsen; statt: vergifte sein Vergnü-
gen (poison his delight,) versalzt ihm wenigstens
den Spaß; statt: ob er gleich in einem fruchtba-
ren Klima wohnt, (though he in a fertile climate
dwell.)
das Paradies, wo er sich eingenistet
hat. Beyläufig zu erwähnen, so kömmt in diesem
Auftritte verschiedenemal das Wort: Sackerlot!
vor, da im Original überall keine Ausrufung steht.
So auch in Romeo und Juliette sagt die Amme:
Sapperment! im Englischen steht nichts, als why.
In der neunten Scene des Mohren setzt er, statt:
ich glaube, diese Erzählung würde auch meine eigne
Tochter besiegen oder gewinnen, (would win,)
würde sie behexen; statt: deine Entwischung (thy
escape)
der Streich, den du mir gespielet hast.
Sogar in den letzten Worten hes Otheloy, als er im
Begriffe ist, sich zu erstechen, bringt er einen solchen
zugleich niedrigen und komischen Ausdruck an, da im
Original eben sowol das Gegentheil befindlich ist. Er-
zählet, sagt der Mohr, daß ich in Aleppo dem Tür-
ken — — die Kehle ergriff, und, so auf ihn stieß,
(and smote him thus) Herr W., daß ich ihm bey,
der Gurgel gefaßt, und ihn so gekitzelt habe. Noch
ein Beyspiel aus dem Hamlet: marry! I'll teach
| you
, übersetzt er: Potz hundert! das will ich dich
lehren: marry heißt nichts weiter, als ja, fürwahr,
und soll da nichts weniger als komisch seyn. —
   Daß in einer so schweren und weitlaufigen Uebere
setzung, der Geist ermüdet, und daher einige Nach-
läßigkeiten unterlaufen, ist begreiflich, aber da wir in
dieser Uebersetzung oft Nachlaßigkeiten finden, so wür-
den wir fast schliessen müssen, daß Hr. W. zuweilen
allzuqeschwind arbeite, wenn er bey einer andern Gele-
genheit nicht wider diese Beschuldigung öffentlich pro»
testiret hätte. Wir rechnen dahin die Stellen, wo er
das Original so wörtlich übersetzt, daß sein Deutsches
beynahe unverständlich wird. Z. B. Diese Nichte,
deren Athem diese Hände gestopft haben. So
spricht man im Deutschen nicht, ja man wird es kaum
verstehen, wenn man nicht weis, daß im Engländischen
stehet: whose breath these hands have stopp'd.
   Wir haben auch eine Stelle bemerkt, die ver-
muthlich blos aus Versehen aus der Uebersetzung weg-
geblieben ist. Im zehnten Auftritte vierten Aufzugs
des Othello, wo, nachdem Othello alle Wuth seiner
rasenden Eifersucht an der unschuldigen Desdemona
ausgelassen hat, folgendes Gespräch folgt, das sich
kein empfindungsvoller Leser nicht gern wird rauben
lassen:

Aemilia.    Wie befinden sie sich, gute Lady?
Desdemona.   Wahrhaftig, halb im Schlafe.
Aemilia.   Liebste Madam, was haben Sie mit meinem
   Herrn?
Desdemona.   Mit wem?
Aemilia.   Wie? mit meinem Herrq, gnädige Frau!
Desdemona.   Wer ist dein Herr?
Aemilia.   Er ist auch der Ihrige, liebste Lady!
Desdemona.   Ich habe keinen mehr. Sprich nicht mit
   mir Aemilia. Ich kann nicht weinen, und doch habe
   ich keine andere Antwort als Thränen — Höre,
   lege auf den Abend meine Hochzeitslacken auf mein
   | Bett — vergiß es nicht — und rufe deinen Mann
   her.
Aemilia.   Hier ist in der That eine Veränderung.

   Dies ist so sehr der natürliche Ausdruck der Be-
stürzung und der Schwermuth, daß wir nicht glau-
ben, daß der Übersetzer diese Stelle mit Fleiß habe
weglassen wollen.
   Damit wir selbst nichts auslassen, so wollen wir
noch hinzufügen, daß diese Übersetzung, den der eng-
ländischen Sprache unkundigen Lesern, die begierig
sind, den großen Shakespear, so weit es in einer
Übersetzung möglich ist, kennen zu lernen, sehr anzu-
preisen ist, und daß sie dem, der sie mit dem englän-
dischen Originale in der Hand studiren will, ein wich-
tiges Hülfsmittel, dieses zu verstehen, werden kann.
Dies sey gesagt, um zu zeigen, daß wir »das Ver-
dienst, das Hr. W. sich durch diese Übersetzung um
unsere Nation gemacht hat,« nicht verkennen.
   Wir haben in der Vorrede zum achten Bande,
die Ausfälle wider die Kunstrichter wirklich mit Mis-
fallen gelesen, und thut es uns, selbst Hrn. W wegen,
sehr leid, daß wir dazu Anlaß gegeben haben. Ein
Mann von seinen Verdiensten hatte, dachten wir, die
locus communes wider die Kunstrichter, immer den
elenden Scribenten überlassen sollen, die über die
Strenge der Kunstrichter seufzen, oder den Schrift-
stellern, die ihren Ruhm überleben, und daß ihre
neuern Werke, kein Mensch lesen will, blos den bos-
haften Kunstrichtern Schuld geben. Nicht, daß wir
ihm verdenken, daß er sich vertheydiget, wenn ihm
die Kunstrichter unrecht gethan haben; aber warum
will er Unrecht mit Unrecht erwiedern. Warum be-
schuldigt er die Kunstrichter »daß sie von dem Werthe
und Unwerthe eines Buches urtheilen, wenn sie es
einige Minutenlang durchblättert haben, — daß
| sie alles, was er schreibet, mit impertinenten Ton und
hämischen Wesen beurtheilen, — daß sie gänzlich
vergessen, daß sie selbst fehlerhaft sind, und irren
können, — daß sie in dem entscheidenden Tone eines
Richters urtheilen, von dem sich nicht appelliren
läßt.« Selbst der hochmütigste und ungezogenste
Journalist, kann schwerlich von seinem Urtheile
glauben, daß sich davon nicht appelliren lasse, und
wir selbst appelliren an Hn. W. in nicht so empfind-
licher Laune, ob es gerecht sey, solche eines so kindi-
schen Hochmuths zu beschuldigen, die gezeigt haben,
daß sie Widersprüche, die allerheftigsten sogar, gelas-
sen anhören und entweder schweigen, oder sich glimpflich
vertheydigen, oder auch ihr Urtheil zurücknehmen
können. Wer dieses thut, giebt wenigstens nicht zu
erkennen, daß er sich für untrüglich halte.
   Das Urtheil eines Kunstrichters, ist ja kein Rich-
terspruch, sondern das Urtheil eines einzelnen Gelehr-
ten, der das Recht dazu, wie alle übrige Leser gekauft
hat. Der Kunstrichter, der von dieser Wahrheit
recht sehr überzeugt ist, urtheilt eben deswegen zuwei-
len am dreistesten. Er sagt seine Empfindung, die er
bey einem Buche gehabt, freymüthig heraus, weil
er sie für nichts mehr, als seine seine Meynung, hält,
die er leicht ändern kann, wenn man ihn eines bessern
belehrt, und sich den stolzen Gedanken nicht in den
Sinn kommen läßt, daß dadurch der Werth, oder der
Unwerth eines Buches, oder eines Schriftstellers, solle
entschieden werden. Freylich kann wohl nichts mehr
einen Kunstrichter bewegen, vorsichtiger, bedachtsa-
mer, bestimmter sich auszudrücken, als wenn selbst
ein Wieland ein größeres Gewicht auf ein Urtheil
legt, als der Urtheiler selbst; wenn ein Wieland ge-
stehet, daß ihm durch ein solches Urtheil, das unglück-
licherweise nicht bestimmt und deutlich genug ausge-
|drückt war, »da wehe gethan worden sey, wo er am
empfindlichsten ist.« Aber derjenige, der es für
die niederträchtigste Gesinnung halt, Urtheile nieder-
zuschreiben, um einem andern wehezuthun, oder ihm,
nach dem Ausdrucke eines berühmten Journalisten
eine unangenehme Stunde zu machen; der blos
seine Empfindungen erzählt und blos bedacht ist, seine
darauf gebaute Meynung freymüthig zu sagen, und
sie desto unbesorgter sagt, weil er kein größeres Ge-
wicht darauf legt, als man auf das Urtheil eines ein-
zelnen Menschen legen muß, dem wird in der That,
auch »da wehe gethan, wo er am empfindlichsten ist.«
wenn man ihn seiner Freymüthigkeit (und mag man
doch auch sagen, Unbedachtsamkeit) wegen, hämischer
Absichten, und eines Stolzes, der glaubt ohne Appel-
lation entscheiden zu können, zeihen will.

HD.

 

 


Textredaktion: Hannes Riffel

 



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